Kürzlich habe ich in den Kinderwunsch-News einen Artikel veröffentlicht, in dem es darum ging, ob eine private Krankenversicherung die ICSI an mehr als 5-6 Eizellen bezahlen muss. Das Landgericht Köln entschied, dass eine Limitierung der ICSI auf eine Zahl von 6 nicht rechtens sei.
Ich hatte als Gutachter ebenfalls in einem Landgerichtsprozess Stellung zu einem ähnlich gelagerten Fall zu nehmen. Damals ging es um eine 40jährige Patientin, deren Mann einen eingeschränkte Spermienqualität aufwies und daher die ICSI der einzige Weg war, um den gemeinsamen Kinderwunsch zu erfüllen. Obwohl ich sonst kein großer Freund der Übertragung von drei Embryonen bin, sah ich dies in diesem Fall aufgrund des Alters als gerechtfertigt an. Und nun Auszüge aus dem Gutachten:
Drei Embryonen zum Transfer zur Verfügung zu haben ist Ziel bei einer Behandlung von Frauen, die das 40. Lebensjahr vollendet haben. Darüber hinaus ist jedoch auch die Qualität der Embryonen entscheidend. Das Ziel der Behandlung ist daher der Transfer von drei optimalen Embryonen. Die Qualität wird dabei lichtmikroskopisch beurteilt und korreliert mit der Einnistungsfähigkeit der Embryonen. Beurteilt wird die Teilungsgeschwindigkeit, die Symmetrie der Blastomeren, das Vorhandensein von Einschlüssen im Zytoplasma („Fragmentierungen“)[1].
Wie wichtig diese Qualitätsmerkmale sind, zeigt sich an einer Statistik des Deutsches IVF-Registers, Jahrbuch 2004 [2], Seite 16. Hier wird nach Altersgruppen aufgeschlüsselt, wie hoch die Schwangerschaftsraten in Abhängigkeit von Zahl und Qualität der transferierten Embryonen ist. In der Altersgruppe über 40 beträgt die Schwangerschaftsrate mit drei nicht idealen Embryonen 5,26%, während nach einem Transfer von drei idealen Embryonen durchschnittlich 17,42% der Frauen schwanger werden. Noch dramatischer ist das Ergebnis, wenn weniger als drei Embryonen übertagen werden können. Mit einem qualitativ schlechten Embryo werden nur noch 1,3% der Frauen schwanger.
Das Deutsche Embryonenschutzgesetz lässt jedoch eine Selektion von Embryonen im Mehrzellstadium nicht zu. Bereits im Vorkernstadium müssen die befruchteten Eizellen ausgewählt werden, welche dann später im Embryonalstadium in die Gebärmutter übertragen werden.
Geht man von einer durchschnittlichen Fertilisationsrate von ca. 50-60% aus, dann müsste man daher lediglich 5-6 Eizellen einer ICSI-Behandlung unterziehen, um genügend Embryonen zur Verfügung zu haben. Lassen wir jetzt mal außen vor, dass die Befruchtung bei fast 4% der ICSI-Behandlungen komplett ausbleibt und ein Teil der befruchteten Eizellen sich nicht weiterentwickelt, so dass fast 7% der ICSI-Behandlungen ohne einen Transfer enden. Die individuelle Befruchtungsrate ist vorher nicht sicher einzuschätzen. Dies ist zwar sicherlich ein Grund, weshalb man – wenn möglich – mehr als 6 Eizellen einer ICSI unterziehen sollte, aber nicht der wichtigste.
Das Embryonenschutzgesetz wird so interpretiert, dass nicht mehr als 3 Eizellen bis zum Embryonalstadium kultiviert werden dürfen. Das bedeutet aber keinesfalls, dass eine Selektion nicht stattfinden darf. Im Gegenteil, sie sollte unbedingt durchgeführt werden. Und zwar zu dem Zeitpunkt, an dem diese Auswahl in Deutschland durchgeführt werden darf: dem Vorkernstadium.
Einen Tag nach der Punktion bilden sich üblicherweise als Zeichen der Befruchtung zwei sogenannte Vorkerne in den Eizellen aus, die jeweils den halben väterlichen und mütterlichen Chromosomensatz beinhalten. Das PN-Scoring (von Pronuclei = Vorkerne) ist eine Methode, bei der entsprechend bestimmter festgelegter Kriterien die Qualität der Vorkernstadien festgestellt werden kann und letztlich diejenigen ausgewählt werden, welche sich mit der höchsten Wahrscheinlichkeit zu einem einnistungsfähigen Embryo entwickeln.
Eine Studie aus dem Jahre 2003 konnte nachweisen, dass die Beurteilung der befruchteten Eizellen im Vorkernstadium mit der genetischen Intaktheit der daraus sich entwickelnden Embryonen korreliert [3]: Die Lage der Vorkerne in der Zelle, Gestalt und Verteilung der Nucleoli und die Orientierung der Polkörperchen im Hinblick auf die Vorkerne korrelierten statistisch signifikant mit dem Vorhandensein von chromosomalen Defekten der späteren Embryonen. Vier bestimmte Konfigurationen in Gestalt und Lage der Polkörperchen, Vorkernen und Nucleoli (rundliche Strukturen in den Vorkernen) wiesen im Vergleich zu anderen Mustern auf eine hohe Wahrscheinlichkeit genetisch normaler Embryonen hin.
Daraus lässt sich also schließen, dass eine Auswahl der richtigen Eizellen in diesem Stadium der Embryonalentwicklung bereits möglich ist. Der weiteren Frage, ob das schematisierte Scoring der üblichen Beurteilung durch einen erfahrenen Biologen überlegen ist, widmete sich eine weitere Studie [4]. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass das PN-Scoring nur einen geringen Vorteil hat und ein erfahrener Biologe nach dem Scoring die gleichen Embryonen auswählen würde wie ohne dieses Verfahren.
Ob also mit „PN-Scoring“ oder nach weniger systematischer Beurteilung der Vorkernstadien durch einen erfahrenen Biologen, das Ziel und das Resultat bleibt gleich. Eine Selektion der richtigen Vorkernstadien ist eminent wichtig. Dies vor allem bei der „älteren Frau“ auch, da der Anteil genetisch nicht intakter Eizellen (Aneuploidie) hier 50%-60% und mehr erreichen kann [5,6]. Rein rechnerisch stellt sich also ein höherer Bedarf an Eizellen dar.
Unter der realistischen Annahme, dass sich 50% der Eizellen befruchten und davon wiederum 50% eine Aneuploidie aufweisen können und drei optimale Embryonen transferiert werden sollen ergibt sich, dass die Befruchtung von 12 Eizellen medizinisch sinnvoll ist. Aufgrund der genannten Voraussetzungen ist es keinesfalls vertretbar, überschüssige Eizellen ohne einen Befruchtungsversuch zu verwerfen und damit die Chancen für den Eintritt einer Schwangerschaft zu mindern.
Selbstverständlich sollten diese Überlegungen nicht zu einer exzessiven hormonellen Stimulation der Eierstöcke führen, da dies zu einem Überstimulationssyndrom führen kann und darüber hinaus auch die Qualität der Eizellen beeinträchtigt. Unabhängig vom Alter der Patientinnen konnte in großen retrospektiven Untersuchungen gezeigt werden, dass mehr als 15 Eizellen die Erfolgsraten einer IVF- oder ICSI-Behandlung vermindern können [7].
Die Frage an den Gutachter bezieht sich explizit auf die medizinische Notwendigkeit, 12 Eizellen zu befruchten und es ist hier auch klar zu trennen zwischen dem medizinischen Vorgehen und der Abrechnung dieser medizinischen Leistungen, die jedoch nicht Gegenstand des Gutachtens ist. Aus medizinischen Gründen ist dies nicht nur zu rechtfertigen, sondern unbedingt notwendig, wenn diese Zahl an Eizellen vorliegt.
Im Gegensatz zum aktuellen Fall vor dem Landgericht Köln ging es bei diesem nicht um die Frage, ob es gerechtfertigt ist, mehr als 6 Eizellen zu befruchten, sondern lediglich darum, ob die Zahl von 12 befruchteten Eizellen im strittigen Fall medizinisch zu rechtfertigen ist. Das Ergebnis des (für die Kläger = Versicherten positiven) Urteils hatte daher keinen allgemeingültigen Charakter wie bei dem nun vorliegenden des Landgerichts Köln.
Literatur
[1]. K. Diedrich (Hrsg.)
Weibliche Sterilität: Ursachen, Diagnostik und Therapie
Springer Verlag, 1998
[3]. Gianaroli L, Magli MC, Ferraretti AP, Fortini D, Grieco N.
Pronuclear morphology and chromosomal abnormalities as scoring criteria for embryo selection.
Fertil Steril. 2003 Aug;80(2):341–9.
[4]. Ludwig AK, Werner S, Diedrich K, Nitz B, Ludwig M.
The value of pronuclear scoring for the success of IVF and ICSI-cycles.
Arch Gynecol Obstet. 2005 Dec 7:1-9
[5]. Kuliev A, Cieslak J, Ilkevitch Y, Verlinsky Y.
Chromosomal abnormalities in a series of 6,733 human oocytes in preimplantation diagnosis for age-related aneuploidies.
Reprod Biomed Online. 2003 Jan-Feb;6(1):54-9
[6]. Kuliev A, Cieslak J, Verlinsky Y.
Frequency and distribution of chromosome abnormalities in human oocytes.
Cytogenet Genome Res. 2005;111(3-4):193-8
[7]. Timeva T, Milachich T, Antonova I, Arabaji T, Shterev A, Omar HA.
Correlation between number of retrieved oocytes and pregnancy rate after in vitro fertilization/intracytoplasmic sperm injection.
ScientificWorldJournal. 2006 Jun 21;6:686-90